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PETRA BUCHEGGER
Schriftzüge
Kittelschürzenstoffe, Watte, à 300 x 170 cm, 2009-2010


We all live subsidized lives
von Anna Koll

An einer weißen Wand befindet sich der Schriftzug „We all live subsidized lives“.  Die Worte sind aus blau-lila-kariertem Stoff genäht, der weich gefüttert ist. Der Schriftzug ist geschwungen wie Latein-Handschrift. Die Worte sind untereinander verbunden, so als hätte man die Worte in einem Zug geschrieben ohne den Stift dabei abzusetzen. Die Stoffstücke sind mit weißem Zwirn genäht. Dort wo die Nähte anfangen und enden hängen die Fäden noch mehrere Zentimeter lang weg.
Der Schriftzug bildet drei parallele Zeilen, die Worte des Schriftzugs sind in unterschiedlichem Abstand zueinander angeordnet. Die Worte bilden einen Satz, Satzzeichen gibt es jedoch keines. Ich verstehe den Satz als Aussage, obwohl es genauso gut eine Frage oder eine Hypothese sein kann. Wenn ich nicht über den Inhalt der Worte nachdenke, sehen die Buchstaben aus als wären sie Gebilde, die aus der Stofflinie herauswachsen, die durch Bewegung der Stofflinie ihre Form erhalten. So sehr ich gerne den Stoff in seinen Farben und die Form des Objekts und seine Weichheit studieren mag drängt sich dennoch der Inhalt des Satzes immer wieder in meine Wahrnehmung. „We all live subsidized lives“ – Wir alle leben durch Unterstützung/Subvention.
Die Aussage des Satzes wird zur herausfordernden Frage: Lebe ich ein subventioniertes Leben? Brauche ich Unterstützung für mein Leben? Ich bin doch frei und unabhängig, ich lebe doch in einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft mit Recht auf Arbeit und.. achso ja und einem Sozialsystem. Und naja ich bin derzeit im erwerbsfähigen Alter und kann meinen Unterhalt verdienen, aber das war nicht immer so und das wird vermutlich auch nicht immer so bleiben, obwohl ich ja nicht so genau weiß ob ich jemals vom Staat einen Altersunterhalt ausgezahlt bekommen werde.... So schnell kann ich gar nicht sein, schon steck ich mitten in der Reflexion meiner Lebensumstände. Leben - wir alle leben unsere Leben, und wir alle leben sie „subsidized“. Im Leben als Künstlerin sind finanzielle Subventionen vermutlich oft Thema, als Drittmittel-Angestellte der Universität sind Fördergelder auch mein tägliches Leben. Aber wenn ich den Schriftzug betrachte denke ich nicht an den Staat und seine VertreterInnen und nicht an Geld und finanzielle Subvention oder Banken. Die genähten Stoffbahnen lassen mich an meine Großmutter denken, die mir beigebracht hat wie Rück- und Kreuzstich gemacht werden. Der karierte Stoff lässt mich an alltägliche Gegenstände wie Geschirrtücher und Schürzen denken, an die Stoffreste mit denen Schuhe geputzt und Schonüberzüge für am Dachboden abgestellte Möbel genäht werden. Die weghängenden Fäden lassen mich an den Werkunterricht in der Schule denken und daran, dass ich Röcke und Zierdeckchen fertigen musste während meine Schulkollegen an Brückenmodellen und Drahtobjekten werkten.

Mit den Worten spricht die Künstlerin mich an, sie wendet sich durch das „Wir“ an die BetrachterInnen ihres Werks. Beim Lesen der Worte denke ich, dass sie diesen Satz ernst nimmt. Sie will die Aussage nicht karikieren. Die Künstlerin fordert das Nachdenken über das eigene Leben und die Lebensumstände heraus und das Nachdenken über uns – also alle die wir da so stehen und dieses Werk betrachten. Wie wir alle - jedeR für sich - ihre Leben leben. Wir leben einzeln für uns und doch ist uns das Leben gleich – wir leben in Abstand und Nähe, wir haben Ähnlichkeiten und Differenzen. Und wir alle wurden unterstützt um leben zu können. Wir alle sind auf jemanden angewiesen um zu leben.

Die Künstlerin arbeitet in ihrem Werk mit dem kritisch-feministischen Blick in Anlehnung an die Philosophie der Mailänderinnen (Mailänderinnen = Autorinnenkollektiv der Mailänder Libreria delle donne und die Veroneser Philosophinnengemeinschaft Diotima; s. Heike Kahlert 2004) an einer anderen gesellschaftlichen Ordnung von Werthaltungen – einer anderen symbolischen Ordnung - , die im Vergleich zur traditionell patriarchal geprägten, Grundlage weiblicher Freiheit und gerechter sozialer Verhältnisse ist. „Der Begriff ‚symbolische Ordnung’ bezeichnet das unausgesprochene Konzept von Bildern, Zeichen und Urteilen, das jeweils die gemeinsame Basis menschlicher Gemeinschaften bildet. (...) Die Vermittlung dieser oft unbewussten Vereinbarungen der menschlichen Gesellschaft erfolgt über den Körper und vor allem über die Sprache. Ebenso wie die Sprache ist die symbolische Ordnung ein lebendiges, offenes System, auch wenn die in ihr enthaltenen Bilder und Urteile sehr mächtig sind und jedem unserer alltäglichen Urteile vorausgehen. Doch mit unseren Urteilen und unserem Sprechen und Handeln gestalten auch wir symbolische Ordnung mit.“ (ArGru Chora 2005, S. 30)

Im Werk der Künstlerin finden Dinge zueinander, die in unserer gesellschaftlichen Realität nicht zusammengehören – Haushalt und Philosphie, Hausarbeit und Sport, bäuerliches Wirtschaften im Dorf und Mode-Business, ihre individuelle Lebensgeschichte und die Weltordnung. Sie schafft in ihrer Kunst die Verflechtung zweier getrennt erscheinender Welten.
Die Werke der Künsterlin regen zum Nachdenken über die gesellschaftliche Ordnung an und führen uns Kontraste vor Augen mit denen wir täglich leben. Die beiden Welten, welche die Künstlerin miteinander in Verbindung bringt sind gleichzeitig DIE EINE unsere Welt und ich stehe davor und staune. Ich staune über die Unterschiedlichkeiten dieser Welt. Und ich bin begeistert darüber, wie die Künstlerin die wenig beachtete Welt der Kittelschürze inszeniert. Die Trennlinie in dieser Welt ist die Trennlinie der Geschlechterdifferenz. Und die Vermittlung über die Trennlinie hinweg ist das Anliegen der Künstlerin in ihren Werken.

In ihren Arbeiten verhandelt die Künstlerin das Wissen um die Angewiesenheit auf Andere und ihre kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Werten. Sie markiert klar ihre feministische Position dem Prinzip der Mailänderinnen folgend: „Gerechtigkeit herstellen ausgehend von sich selbst“ (Libreria delle donne di Milano 1989, zit. nach: ArGru Chora 2005, S. 32). Das Kunstschaffen ist für sie Ausdruck des Begehrens die Welt verstehen zu wollen. Die Künstlerin arbeitet an einem Verständnis dafür wie Subsistenzfähigkeit unterstützt und Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Miteinander hergestellt werden kann. Sie ist auf der Suche nach dem selbstbestimmten Leben und stellt uns in jedem ihrer Werke die Frage: Wo liegt die Freiheit?

Ihr Kunstschaffen zielt auf Subsistenzarbeit - „sich Zeit zu nehmen für ein Miteinander und ein Leben in Bezogenheit“ (ArGru Chora S.28) - sie sucht und fördert die Auseinandersetzung mit Anderen, das Leben in Bezogenheit ist zugleich Thema und Grundlage ihrer Arbeit.
„Der Wert der Erfahrung, ein Wahrheitswert, aber auch ein Wert des Genusses, ist nur dann gesichert, wenn der Kreis der Vermittlung vollständig ist und der Ersatz zur Rückerstattung wird.“ (Muraro 1993: 90)

Nachtrag:

Einige Zeit nachdem ich diesen Text verfasst habe kommt mir ein weiterer Aspekt in den Sinn: der Gedanke, dass wir alle unsere „subsidized lifes“ leben macht nachdenklich und gleichzeitig ist er doch sehr beruhigend. Wie absurd erscheinen doch die herrschenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse demgegenüber, wie gut ist es doch sich auf den Kreis der Vermittlung zu konzentrieren und die eigene Freiheit darin zu begreifen.



Literatur:

Heike Kahlert: „Differenz, Genealogie, Affidamento: Das italienische ‚pensiero della differenze sessuale’ in der internationalen Rezeption“ in: Ruth Becker, Beate Kortendiek (Hrsg.): „Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie.“ VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004.

ArGru Chora: Andrea Appel, Andrea Kölzer, Claudia Tiemann: „Freiräume schaffen. Gutes Leben mit der Subsistenzperspektive“ Arbeitsgruppe Chora Selbstverlag Kassel/Nothfelden 2005.

Luisa Muraro: „Die symbolische Ordnung der Mutter“ Frankfurt/ Main, Campus Verlag 1993.