Geballte Frauenpower ist im Künstlerhaus erlebbar

Kultur / 22.03.2020 • 12:00 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Geballte Frauenpower  ist im Künstlerhaus erlebbar
Eva Buchrainer mit ihren Arbeiten im Dachgeschoß des Hauses. AG

Wurzeln unterm Dach und Lärm im Keller, die Arbeiten im Bregenzer Künstlerhaus sind auch online zu betrachten.

BREGENZ Der Anblick und das Gegenüber des Originals ist eigentlich durch nichts zu ersetzen. Wenn das in Zeiten, in denen man besser daheim bleibt, aber nicht geht, kann man zumindest virtuell in die Kunst eintauchen – ein Ausstellungsrundgang, der mittlerweile auch vom Sofa aus erlebbar ist. Drei neue Ausstellungen gibt es derzeit im Bregenzer Künstlerhaus.

Raumtriade

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In Anlehnung an die „Raumtriade“ des französischen Soziologen und Philosophen Henri Lefebvre greifen Annja Krautgasser und die seit 2014 kollaborierenden Silke Maier-Gamauf und Romana Hagyo die Dreiteilung auf. Mit einbezogen in die drei Kapitel sind auch Arbeiten ihrer 2017 verstorbenen Künstlerkollegin Petra Buchegger – als Reminiszenz an eine Ausstellung von 2013 in gleicher Konstellation im Künstlerhaus einerseits, und weil sie andererseits perfekt ins Konzept der subjektiven Annäherungen an gesellschaftliche Raumvorstellungen passen. Das einfache Tun einer einfachen Frau in Kittelschürze in einem Gewächshaus hat Petra Buchegger nicht nur in einem Video festgehalten und ihr damit besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Das Gewächshaus wird im Ausstellungskontext zur Skulptur, an der bunte Textilstreifen im Ventilator-Wind flattern. Die Streifen sind Reste von Kittelschürzen, mit denen die feministische Künstlerin bevorzugt gearbeitet hat. Der Hauptakzent von Annja Krautgassers Schaffen liegt auf filmisch-performativen Arbeiten. Ihr Wandplot „Begegnung mit dem Krieg“ mit Panzer und Künstlerin im politischen Raum bezieht sich unmittelbar auf ihren jüngsten Film „Kriegsszenen“, der ein surreal und gespenstisch anmutendes Festival in der Slowakei zum Thema hat. Alljährlich wird dort eine Schlacht von 1944, bei der die deutsche Wehrmacht von der Roten Armee von der Ostfront zurückgedrängt wurde, „nachgespielt“. Krautgasser hinterfragt, was die Menschen (unter ihnen ganze Familien und zahlreiche Deutsche und Österreicher) dazu treibt, in der heutigen Zeit mit so viel Begeisterung Krieg zu spielen.

Annja Krautgasser thematisiert den Krieg.
Annja Krautgasser thematisiert den Krieg.

Körper-Formen-Körper

Im Spannungsfeld von Körper, Kleidung, Inszenierung und öffentlichem Raum ist die fotografisch dokumentierte Performance „Abrieb und Lagenlook“ des Duos Silke Maier-Gamauf und Romana Hagyo angesiedelt. In wechselnden Rollen vor und hinter der Kamera schlüpfen die Künstlerinnen mitten auf dem Gehsteig in kurzentschlossenen Mini-Performances, die die Öffentlichkeit mit einbeziehen, in dehnbare blaue und weiße Textilschläuche, in denen ihre Körper zu unförmigen Formen werden. Damit torpediert das Duo auch auf witzig-ironische Weise Geschlechter-, Rollen- und Körperzuschreibungen. Die Bilder erinnern zuweilen an Erwin Wurms Kunst einen Pullover anzuziehen, finden aber vor einem völlig anderen gedanklich-philosophischen Hintergrund statt.

Von den Wurzeln

Die Frage nach ihren Wurzeln und nach einem Heimatbegriff, der für viele längst nicht mehr an einen geografischen Ort gekoppelt ist, treibt Eva Buchrainer um. 1952 in einem Dorf in Schlesien geboren, bringt die mittlerweile in Feldkirch lebende und dort fest verwurzelte Künstlerin ihre eigene Migrationsgeschichte mit Stationen in Nordafrika und Europa in ihre Installation im Dachgeschoß ein. Den Ort ihrer Kindheit hält sie in Acryl-Gemälden („Das kommt meiner Ungeduld entgegen.“) fest, Fotos als Zeitdokumente zeigen den Einzug der Panzer in einem Dorf, das in dieser Form nur noch in den Erzählungen eines alten Nachbarn existiert, der auf der Bank vor seinem Haus sitzt und die Stellung hält, während die Jungen längst weggezogen sind. Bildhaft und symbolisch stellt Eva Buchrainer die Ver- bzw. Entwurzelung in der zentralen Installation „Baum-Metamorphose“ dar. Anhand der Umrisse baut die Künstlerin die mächtige, wegen einer Krankheit gefällte Rotbuche aus dem Schlosspark ihres Heimatorts nach und verschafft dem Baum eine neue, schwebend-leichte Existenz.

 Silke Maier-Gamauf und Romana Hagyo.
Silke Maier-Gamauf und Romana Hagyo.

Mit den Augen hören

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In der Reihe „Zur Zeit“ präsentiert sich diesmal die Zürcher Hochschule der Künste. Studierende aus der Klasse von Billy Davis widmen sich in einer Klang- und Performance-Ausstellung dem Motto „From Noise to Silence“. Dieser im Künstlerhaus jährlich präsentierte, anregende Ausflug in die Welt der Kunstakademien offenbart jeweils viel Potenzial. Kennzeichnend für die Arbeiten der aktuellen Schau ist das Aufzeigen von Extremen zwischen dem scheinbar Immateriellen des Klangs und dem Physischen des Objekts im zu definierenden Raum, der Auge und Ohr gleichermaßen fordert. So lässt Anais Orr in ihrer fragilen Installation „silent cristalls“ im Foyer selbst gezüchtete piezoelektrische Kristalle Töne erzeugen, während das Smartphone von Martin Jung, abgelegt in einem Stück Baumrinde in der Fensternische im Treppenaufgang, mittels Sprachnachricht und Texten von John Cage in Meditationsstimmung versetzen soll. „Lärm-Kissen“ mit Tonabnehmern liefern durch Interaktion in einer Art Konzertsituation einen Sound, der Tobias Rüetschi als Grundlage für eine Performance dient, wohingegen Esther Einhorn dazu einlädt, der eigenen inneren Stimme zuzuhören. Kunst und Natur, sowohl optisch als auch akustisch, vermischen sich im „Post Millenium Flower Field“ aus Plastikblumen in Steckmasse von Julian Zehnder. Auf klanglicher Ebene läuft über der Blumenwiese ein Tag ab – vom morgendlichen Krähen des Hahns bis hin zu den Geräuschen der Nacht. Bild und Ton auch bei Chahida Rezgueni: Sie platziert echte Blumen, Nelken, auf einem Haufen Erde, aus den Lautsprechern kommen von der Künstlerin eingesprochene Texte, von verschiedenen Leuten, Frauen und Männern, eingeschickt, sehr lebensnah und jung, die sich mit dem weiblichen Zyklus beschäftigen. In der Installation von Giulia Hess verkehrt sich das eigentlich beruhigende Schnurren einer Katze in pure Beklemmung, während aus der Bodeninstallation von Julia Nusser eindringliches Jammern zur Lage der großen und kleinen privaten Welt zu vernehmen ist und sich Jonathan Steiger mit dem technologischen Fortschritt, der fast einer religiösen Erlösung gleichkommt, befasst. Ariane Grabher